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Classix-Festival: Von Probendiskussion bis Aufführungsreife liegt ein Stück Weg

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Ernteten satten Applaus für den Vortrag von Giovanni Pacinis Oktett in F-Dur: (v.l.) Rosanne Philippens (Violine1), Christel Lee (Violine2), Yura Lee (Violine3), Trey Lee (Violoncello), Olivier Thiery (Kontrabass), Hervé Joulain (Horn), Andrea Zucco (Fagott) und Olivier Doise (Oboe).
Ernteten satten Applaus für den Vortrag von Giovanni Pacinis Oktett in F-Dur: (v.l.) Rosanne Philippens (Violine1), Christel Lee (Violine2), Yura Lee (Violine3), Trey Lee (Violoncello), Olivier Thiery (Kontrabass), Hervé Joulain (Horn), Andrea Zucco (Fagott) und Olivier Doise (Oboe). © Kus

Kempten – Kempten und Kultur ergänzen sich in dieser Woche dank dem gerade stattfindenden Classix-Festival auf das Schönste. Wer als Besucher ein bisschen Zeit mitbringt, der kann tagsüber im Probenraum des Stadttheaters das Einüben des Musikstücks miterleben,

das er dann abends im festlichen Rahmen von den vielen jungen und junggebliebenen Musikern aus aller Welt, die beim diesjährigen Classix-Festival eingeladen wurden, aufgeführt und vorgetragen bekommt.

Bei den Proben tragen sie nicht das schwarze Kleid und den strengen Anzug, sondern sind alltagsgekleidet wie du und ich, die eine etwas modisch-verbindlicher, der andere etwas leger-lockerer. Auch beim Musizieren ist man geneigt, gewisse Ähnlichkeiten mit dem Zusammenspiel von Freizeitmusikern wie du und ich zu erkennen. Mitunter geht es drunter und drüber beim Durcharbeiten eines Stückes, es wird ständig unterbrochen, jeder gibt – immerhin auf Englisch, damit der andere es auch versteht – seinen Kommentar zum gemeinsamen Spiel ab, ein durchgehendes Musikstück ist nicht zu erkennen. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass die eine oder andere Note weggelassen wurde, außerdem im halben Tempo gespielt, aha, deswegen hat das Stück sich so in die Länge gezogen.

Abends beim Konzert, wenn die Musiker wieder ihr schwarzes Kleid und den eleganten Anzug angelegt haben, merkt man, dass sie sich dann doch von dir und mir unterscheiden, man hört, dass richtige Musiker am Werk sind. Sie können nämlich, wenn es darauf ankommt, Musik im richtigen Tempo spielen, können einem Stück seine Form geben, sie können Musik auf den Punkt bringen; in einem Wort, sie lassen Musik entstehen. Beim Konzert am Mittwochabend kam noch die Freude und der Spaß der Musiker am Zusammenspiel hinzu, der durchgängig bei allen Werken von der Bühne strahlte. Gaetano Donezettis Streichquintett „Introduzione per Archi“ in D-Dur erinnerte in seiner Innigkeit an Mozarts Stadler-Quintett, nur eben dass statt der Klarinette ein Kontrabass spielte. Ein schöner Beginn des Konzerts.

Beim wenig bekannten Alfredo Casella, einem Schüler Gabriel Faurés, kamen dann in seiner neoklassizistischen Serenata von 1927 die Bläser zu den Streichern hinzu. Nicht nur die kammermusikalisch üblichen Instrumente wie Fagott und Klarinette, sondern auch die Trompete. Einfluss der langen Tradition der volkstümlichen Blaskapellen Italiens? Ein echtes Hörerlebnis, wie differenziert und ausgewogen sich Misaki Fukushimas Trompete in den sechs Sätzen zu den vier anderen Instrumenten fügte.

Giovanni Pacini steht musikhistorisch zwischen Rossini und Verdi. In seinem 1865 geschriebenes Oktett spiegeln sich die gesanglichen Linien seiner vielen Opern, und doch steht es auch für eine kammermusikalische Entwicklung, die zu Verdis e-moll-Streichquartett acht Jahre später hinführt.

Nach der Pause ging es weiter mit Ferruccio Busonis kurzem Albumblatt BV 272 von 1916, das von Anna Garzuly-Wahlgren an der Flöte und Oliver Triendl am Klavier sehr fein austariert in der Dynamik des Zusammenspiels dargeboten wurde.

Selten gehörte Instrumentenkombination

Composer-in-Residence Virginia Guastella nutzte danach in ihrem Bläserquintett „Parties diverses“ von 2014 die natürliche Affinität von Blasinstrumenten zueinander, und reizte rhythmische und tonale Reibungen der einzelnen Stimmen voll aus. Ein spannendes Werk entstand vor den Ohren der Zuhörer.

Das Hauptwerk im zweiten Teil des Konzerts war dann Mario Castelnuovo-Tedescos Quintett op. 143. Mario Castelnuovo-Tedesco, 1895 in Florenz geboren, führte bereits ein bewegtes und erfolgreiches Musikerleben als Pianist und vor allem als Komponist, als er 1950 dieses Stück für Gitarre und Streichquartett schrieb. Jüdischer Abstammung war er 1939 aus Italien in die USA emigriert und hatte sein bereits umfangreiches und vielseitiges musikalisches Werk um den Bereich der Filmmusik Hollywoods ergänzt. Noch in Italien hatte er 1932 den späteren Gitarrengott Andrés Segovia kennengelernt und durch den lebenslangen Austausch mit ihm das Standardwerk des zwanzigsten Jahrhunderts für die klassische Gitarre geschaffen.

All dies und vielleicht als wichtigste Zutat die Sehnsucht eines Emigranten nach seiner Heimat fließen in die vier Sätze, von denen jeder seinen ganz eigenen Charakter ausbreitet. In einer Tonsprache, die unbeeinflusst von den Neuerungen der damaligen Zeit erscheint, trotzdem nicht rückständig, sondern eher klassisch modern, erzeugen die fünf Musiker dieses Abends, allen voran Ismo Eskelinen an der Gitarre, vier Stimmungsbilder, die alleine schon durch die selten gehörte Instrumentenzusammenstellung wirken. Allerdings zeigt sich ein wenig die Crux des Zusammenspiels der Gitarre mit den durchsetzungskräftigen Streichern. Durch die geringen dynamischen Möglichkeiten gerät die Gitarre im Zusammenspiel leicht ins Hintertreffen, was nur durch das noch zurückhaltendere Spiel der anderen Instrumente auszugleichen wäre. Trotzdem ein sehr hörenswerter Vortrag, der mit großem Beifall bedacht wurde.

Als angekündigte Zugabe dann ein weiteres kammermusikalisches Beispiel zum hundertfünfzigsten Todestag Gioachino Rossinis: sein Präludium,Thema und Variationen für Horn und Klavier, mit dem ein sehr vielseitiger und damit auch unterhaltsamer und kurzweiliger Konzertabend zu Ende geht.

Konzerte (und öffentliche Proben) sind noch inklusive Sonntag, 30. September, zu hören. Am Samstag, 29. September, steht zudem Virginia Guastella im Komponistengespräch um 18.30 Uhr im Theater in Kempten – Theater Oben (Eintritt frei) im Gespräch mit Irene Suchy – Musikwissenschaftlerin und Redakteurin des Österreichischen Rundfunks – Rede und Antwort. Weitere Festival- und Künstler-Infos unter www.classix-kempten.de.

Jürgen Kus

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