Vítězslava Kaprálová: ›Trio pro dechové nástroje‹
Konzert V – Sonntag, 01.10.2017, 17:00 Uhr, Theater in Kempten
Vítězslava Kaprálová (1915-1940): ›Trio pro dechové nástroje‹ (1937/38) für Oboe, Klarinette und Fagott (Rekonstruktion von Stéphane Egeling)
Bei der Komponistin Vítězslava Kaprálová ist die Bezeichnung als musikalisches Wunderkind ohne Einschränkungen angebracht: Mit zehn Jahren begann sie ihr Studium am Konservatorium ihrer Heimatstadt Brünn in den Fächern Komposition und Dirigieren, nachdem sie bereits fünf Jahre intensiven Klavierunterricht genossen hatte, setzte den Unterricht in Prag fort und startete mit dem ihr eigenen Selbstbewusstsein eine steile Karriere: erste weibliche Absolventin in Komposition und Dirigat, jüngste Dirigentin des berühmten BBC Orchestra, erste Dirigentin bei der konservativen Tschechischen Philharmonie. Eine Dirigentin mit großem Publikumsapplaus im Frack vor einem nur mit Männern besetzten Orchester!
Ein Stipendium ermöglichte ihr die Fortsetzung der Studien in Paris, wo sie in Bohuslav Martinů, einem Freund ihres Vaters, des Pianisten Václav Kaprál, tatkräftige Unterstützung fand. Die Jahre 1937 bis 1939 waren nicht nur geprägt von der in eine Amour fou mündenden Beziehung zu ihrem verheirateten Mentor, sie schöpfte in der liberalen Gesellschaft von Paris die Kraft zu einer intensiven Schaffensperiode, die 1940, wohl durch eine Typhuserkrankung, ein abruptes Ende fand.
Das Trio pro dechové nástroje (bei uns als Trio d’anches = Trio für die Rohrblattinstrumente Oboe, Klarinette und Fagott bezeichnet) aus 1937/38 ist unvollendet geblieben. Der Anlass der Komposition ist nicht bekannt; Martinů könnte ihr von einem zu jener Zeit entstandenen Werk Quatre Madrigaux berichtet haben, für das er die Besetzung mit den drei Rohrblattinstrumenten gewählt hatte. Die Wahl der ausgefallenen Besetzung kann darüberhinaus mit Pierre-Octave Ferroud zusammenhängen, der als rastloser Aktivist in ganz Europa für diese spezielle Bläserbesetzung warb und eine ganze Reihe von einschlägigen Kompositionen anregen konnte. Vitězslava Kaprálová hatte, um sich einem breiteren Publikum bekannt zu machen, bei der Wahl der Besetzung wohl das Trio d’anches de Paris im Auge, das sich in Folge der Werbung Ferrouds als weithin beachtetes Ensemble etabliert hatte und auch für die Aufführung von Martinůs Stück auserkoren war. Ihr Stück würde so, quasi im Windschatten, sicher im Radio gespielt werden und vielleicht auf Schallplatte erscheinen. Dass es dazu nicht kam, liegt daran, dass die Komposition nicht fertig wurde.
Der Grund für den Abbruch der Arbeit liegt sicher zunächst an ihrer Arbeitsüberlastung durch den Umzug nach Paris und etlicher wichtiger Auftritte als Dirigentin, dann aber bereits an ihren krankheitsbedingt nachlassenden Kräften. Wie dem auch sei, das Stück blieb unfertig zurück, als Vitězslava Kaprálová 1940 (wohl an Tuberkulose) starb. Als Stéphane Egeling 2011 die verdienstvolle Aufgabe übernahm, das Manuskript für eine Veröffentlichung abzuschließen, ergänzte der Herausgeber den Torso, der nur einen kurzen Satz ergab, um zwei weitere Sätze durch ein Arrangement aus den April Preludes für Klavier. Da die beiden zugefügten Sätze in ihrem Charakter dem originalen Triosatz sehr ähnelten, ist so ein homogenes, neuartiges und eigenständiges Werk entstanden.