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Ferruccio Busoni: Albumblatt BV 272 für Flöte und Klavier

Konzert I – Mittwoch, 26.09.2018, 20:00 Uhr, Theater in Kempten
Ferruccio Busoni (1866-1924): »Albumblatt« BV 272 für Flöte und Klavier (1916)

Ferruccio Busoni 1913 (Foto: Wikipedia gemeinfrei)Ferruccio Busoni wurde in Empoli bei Florenz als Sohn des berühmten Klarinettisten Ferdinando Busoni und der deutschen Pianistin Anna Weiß geboren. Eigentlich war seine Mutter, da aus Triest stammend, eine »Altösterreicherin«. Der hochbegabte, schon im Alter von zehn Jahren als Klaviervirtuose und Komponist tätige Ferruccio wuchs zweisprachig auf und verbrachte die meiste Zeit seines Lebens nördlich der Alpen. Er darf, neben seinem Zeitgenossen Ermanno Wolf-Ferrari, geradezu als Paradebeispiel des »Deutschitalieners« in der Kunst gelten. Seine Opern schrieb er in seiner Muttersprache, auch wenn sie, wie die Einakter »Turandot« und »Arlecchino«, auf italienischen Vorlagen beruhten. Am ehesten findet man noch den nicht ganz vollendeten, 1925 postum uraufgeführten »Doktor Faustus« auf Spielplänen. Ebenso erschien ein Großteil seiner Schriften, kulminierend im heiß diskutierten »Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst« (1907) auf Deutsch. Busoni war ein charismatischer Pianist, ein wegen seiner massiven Eingriffe in die Originale umstrittener Herausgeber der Klavierwerke J. S. Bachs, ein höchst origineller Visionär musikalischer Erneuerung und ein sehr erfolgreicher Kompositionslehrer. Er studierte noch im Knabenalter in Graz und Leipzig, erwarb sich erste Lorbeeren bei Auftritten in Wien, unterrichtete in Leipzig, Helsinki, Moskau, Boston und schließlich in Berlin, wo er ab 1894 gemeinsam mit seiner schwedischen Frau seinen Hauptwohnsitz hatte. Unter Busonis Schülern finden sich so unterschiedliche Komponisten wie Kurt Weill, Edgard Varese und Frederick Loewe.

Was blieb von Ferruccio Busoni? Seine effektvollen Bach-Adaptionen gewannen unter dem Markenzeichen »Bach-Busoni« ein Eigenleben im Konzertsaal. Seine Orchesterwerke, darunter ein einstündiges Klavierkonzert, führen ein Schattendasein im Repertoire. Eher begegnet man der fantasievollen Kammermusik. Der Streit mit dem widerborstigen Hans Pfitzner über die »neue Ästhetik der Tonkunst« ist in die Musikgeschichte eingegangen. Paradoxerweise zählen der klassizistisch orientierte, über eine erweiterte Tonalität mit gelegentlichen Ausflügen ins Bitonale nie hinausgehende »Futurist« Busoni und der mitunter erstaunlich innovative »Romantiker« Pfitzner heute beide zu den konservativen Vertretern und »bekannten Unbekannten« der so genannten »klassischen Moderne«. Was beide über alle politischen und emotionalen Gegensätze hinweg eint, sind eine gewisse Sprödigkeit im klanglichen Ausdruck und bewundernswertes harmonisches Können. In Busonis Werk ist italienische Gesanglichkeit wesentlich seltener anzutreffen als jene tönende Philosophie, die sehr wohl mit dem Land Kants, Beethovens und Wagners in inniger Verbindung steht. Und kaum jemals begegnet man in seinen kunstvollen Schöpfungen einer damit ja nicht zwingend im Widerspruch stehenden Eingängigkeit. Die Musiksprache des wahren »Weltbürgers« und gefeierten Liszt-Interpreten Busoni ist, um ein englisches Wort zu verwenden, zu »sophisticated«, um in die Breite zu wirken. Doch gerade in einer Zeit, die wieder mehr dem stilistischen Pluralismus frönt, verdient diese meisterhaft konzipierte Musik einen Ehrenplatz.

Albumblatt für Flöte und Klavier (1916)

In der Zeit des Ersten Weltkriegs zog Ferruccio Busoni sich nach Zürich zurück, in eine Stadt, die neutral blieb im grässlichen Kampf zwischen den Ländern seines Vaters und seiner Mutter. Das »Albumblatt«, entstanden im Schweizer Exil und nicht nur für Flöte, sondern alternativ auch für Violine, Viola oder »Violoncell« veröffentlicht, wurde »an Herrn Albert Biolley« gerichtet. Herr Biolley war ein Schweizer Bankier, Amateur-Flötist und Busonis Konzertagent. Ihm galt ein kurzes, stimmungsvolles Andantino in durchaus romantischer, an Robert Schumanns Bläserstücke erinnernder Tradition. Eine herbstlich schöne Melodie bestimmt das Stück, welches wie ein ernstes Gebet auf einer friedlichen Insel inmitten des in Kriegsgräueln versinkenden Europa anmutet.

Gottfried Franz Kasparek

 

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