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Mario Castelnuovo-Tedesco: Quintett für Gitarre und Streichquartett

Konzert I – Mittwoch, 26.09.2018, 20:00 Uhr, Theater in Kempten
Mario Castelnuovo-Tedesco (1895-1968): Quintett op. 143 für Gitarre und Streichquartett (1950)

Aufgewachsen in einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Florenz, studierte Mario Castelnuovo-Tedesco Klavier und Komposition bei Ildebrando Pizzetti in seiner Heimatstadt.
Von einem anderen Großen der »Generazione dell’Ottanta«, von Alfredo Casella, wurde der junge Mann tatkräftig gefördert. Als Pianist und fantasievoller Komponist in der Tradition der italienischen Romantik feierte er frühe Erfolge, mit Opern wie »Mandragola«, mit Ouvertüren wie denen zu Shakespeare-Dramen, mit Ballett- und Kammermusik. Um 1930 galt er als einer der führenden jungen Komponisten seines Landes. Alle damals modernen »Ismen« lehnte er ab und schrieb in einem sehr melodischen, rein tonalen Stil, in klassischen Formen und mit farbiger Instrumentation. Für Jascha Heifetz entstand 1929 das erfolgreiche Zweite Violinkonzert. Doch 1939 musste er Italien verlassen, denn das Mussolini-Regime hatte die Rassengesetze der Nazis übernommen. Er emigrierte in die USA, wo ein legendärer Landsmann, Arturo Toscanini, oft und gerne seine Orchesterstücke aufs Programm setzte. Für Hollywood schrieb er etliche Filmmusiken. Die Freundschaft mit dem spanischen Weltklasse-Gitarristen Andrés Segovia führte dazu, dass Castelnuovo-Tedesco zu einem der beliebtesten Gitarre-Komponisten des 20. Jahrhunderts wurde. Seine Solostücke für dieses Instrument füllen Bände, dazu kommen kammermusikalische Werke mit Gitarre und sogar ein »Romancero Gitano« für gemischten Chor und Gitarre auf Texte von Federico Garcia Lorca. Sein größter Nachkriegs-Opernerfolg war anno 1958 »Il mercante di Venezia« nach Shakespeare, dessen Dramen er besonders liebte. Doch all seine Stücke wurden in Europa kaum wahrgenommen. Ein Musiker, der derart der Tradition verhaftete Musik schrieb, hatte in den Gegenden von Darmstadt und Donaueschingen keine guten Chancen – oder nur auf den Notenpulten Gitarre spielender Menschen, die mit der Avantgarde nichts am Hut hatten. Castelnuovo-Tedesco, ein feinsinniger und nobler Mann, arbeitete unverdrossen an seinem beeindruckenden Œuvre weiter, als »Italiener in Los Angeles«, mit schönen Erfolgen in der kunstästhetisch offeneren »Neuen Welt«. Ab der Mitte der 1950er-Jahre verbrachte er die Sommer meist wieder in der Toskana, die für ihn eine innig geliebte Heimat und eine unverzichtbare Quelle der Inspiration war.

Quintett op. 143 für Gitarre und Streichquartett (1950)

Castelnuovo-Tedesco hat viel leichtgewichtige Gebrauchsmusik geschrieben, die aber immer mit handwerklichem Können und bestem Geschmack verfasst ist. Nicht dazu zählt das 1950 entstandene Quintett in F-Dur in der raren Besetzung Gitarre und Streichquartett. Das melodienreiche Stück ist eine Huldigung an jenes Italien, das einen Luigi Boccherini, einen Vincenzo Bellini hervorgebracht hatte. Schon im einleitenden Allegro schwingt unter südlichem Temperament leise Melancholie mit. Das Zupf- und die Streichinstrumente stehen sich als Dialogpartner gegenüber. Das emotionale Zentrum des Stücks ist der ausgedehnte langsame Satz, Andante mesto. Wer jemals den Zauber der Landschaft im Chianti-Gebiet oder in den Hügeln bei Florenz erlebt hat, wer die schöne Schwermut erfühlt hat, die zwischen silbernen Olivenhainen, zartgrünen Weingärten und dunklen Zypressen in der Luft liegt, weiß, wohin sich der im Exil lebende Komponist da geträumt hat. Die Streicher singen gleichsam alte Lautenlieder und Madrigale, die Gitarre gibt den sensiblen Rhythmus dazu. Mit tänzerischer Eleganz, mitunter sogar ein bisschen swingend kommt das hüpfende Scherzo daher – und auch hier taucht in satten Cellokantilenen instrumentaler Belcanto auf. Mit der Bezeichnung »alla marcia« ist jene Art von Marsch gemeint, die man auch im Frühling bei offenen Türen im Salon tanzen kann. Ein fein ziseliertes, neoklassisches Allegro con fuoco voll wohlig leuchtendem Feuer und wehmütigen Walzerklängen bildet das erst zum Schluss rasante Finale dieses kostbaren, völlig aus der Zeit gefallenen Stücks.

Gottfried Franz Kasparek

 

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