Virginia Guastella, Komponistin, Klavier
Virginia Guastella ist beim 13. Internationalen Festival der Kammermusik in Kempten (Allgäu) Composer-in-Residence.
Virginia Guastella, geboren 1979 in Palermo, begann im Alter von vier Jahren, Musik zu machen. Schon als Siebzehnjährige schloss sie das Klavierstudium in ihrer Heimatstadt mit Diplom ab. Eine erfolgreiche Konzerttätigkeit folgte, zunächst vor allem im klassisch-romantischen Repertoire. Doch setzte sie ihre Studien zielstrebig fort und besuchte die Kompositionsklasse von Adriano Guarnieri an der Universität von Bologna. Prägend für ihre Arbeit als Komponistin wurde eine Meisterklasse an der »Accademia Chigiana« in Siena bei Salvatore Sciarrino, einem der Großen der »Neuen Musik« nicht nur in Italien. Sie gewann den renommierten Kompositionswettbewerb »Strumenti di pace« und wurde mit ihren Stücken schnell international bekannt.
Ein kleine Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Musik interpretieren: Emmanuel Pahud, Paul Meyer, Les Vents Français, Quartetto Prometeo, Novus String Quartet, Roberto Abbondanza, Yves Abel, El Cimarròn Ensemble, Gustav Kuhn, Haydn Orchester Bozen und Trient, Sentieri Selvaggi Ensemble, Orchestra regionale della Toscana (ORT), ContempoArtEnsemble, Gillian B. Anderson, Paolo Fresu, Aldo Ceccato, FontanaMix Ensemble, Alfonso Alberti, Pietro Borgonovo, Orchestra Sinfonica Siciliana. Eine kontinuierliche Zusammenarbeit verbindet die Komponistin mit der RAI. Dazu kamen Auftritte als Konzertpianistin mit großen Orchestern und Dirigenten wie Claudio Abbado, Daniele Gatti oder Alexander Lonquich. Doch spielt sie auch begeistert Jazz im Duo mit dem Drummer Claudio Trotta und in anderen Ensembles. Seit 2012 unterrichtet sie Harmonielehre und Analyse am »Conservatorio G. Puccini« in Gallarate bei Mailand und gibt Meisterklassen, zum Beispiel am Konservatorium von Barcelona.
Virginia Guastella schreibt vielfältige Musik, die sich nicht so leicht in eine Schublade stecken lässt. Avantgarde? Postmoderne? Crossover? Einfach spannende neue und nicht nur »Neue« Musik ist dies, von großer Originalität in unterschiedlichen Stilen, ohne die Tradition von Corelli über Verdi und Puccini bis zu Sciarrino zu verleugnen. Orchesterstücke, viele Ensemblewerke und Kammermusik, Partituren zu alten Stummfilmen liegen bereits vor. Und elektronische Stücke. Bis jetzt keine Opern, aber das wird sich ändern. Ihr erstes Opernprojekt hat sie in Rotterdam vorgestellt – Arbeitstitel: »My name is Floria«. Floria ist der Vorname von Giacomo Puccinis »Tosca« und in der Tat wird die Oper etwas mit der berühmtesten Primadonna der Opernliteratur zu tun haben. Mehr soll hier noch nicht verraten werden.
Folgende Werke kommen bei den »CLASSIX Kempten« 2018 zur Aufführung:
Festivalauftakt – Sonntag, 23.09.2018, 19:00 Uhr
»Une vague peut en cacher une autre« (2016) für Klaviertrio
Konzert I – Mittwoch, 26.09.2018, 20:00 Uhr
»Parties diverses« (2014) für Bläserquintett
Konzert II – Donnerstag, 27.09.2018, 20:00 Uhr
»Vento del golfo« (Omaggio a Palermo) (2010) für Trompete und Streichquartett
Konzert III – Freitag, 28.09.2018, 20:00 Uhr
»Notturna« (2009) für Klavierquartett
Konzert IV – Samstag, 29.09.2018, 20:00 Uhr
»The House of Sleep« (2018) für Violine und Klavier (Uraufführung)
Konzert V – Sonntag, 30.09.2018, 17:00 Uhr
»… à bout de souffle …« (2013) für Flöte, Klarinette und Klavier
Im Komponistengespräch, am Samstag, 29.09.2018, 18:30 Uhr wird die Komponistin der Musikwissenschaftlerin und Redakteurin des Österreichischen Rundfunks Irene Suchy Auskunft zu ihrem bisherigen Werdegang und den während des Festivals aufgeführten Werken Auskunft geben.
Virginia Guastella im Gespräch mit Gottfried Franz Kasparek
Sie sind schon als Kind zur Musik gekommen. Wer waren Ihre prägenden Lehrer?
Ja, ich habe mit vier Jahren begonnen, Musik zu machen, und dann mit siebzehn Jahren mein Klavierstudium in Palermo abgeschlossen. Ich wollte einfach alles schnell fertig machen. Dann kam das wichtige Kompositionsstudium in Bologna bei Adriano Guarnieri.
Aber Sie waren auch Schülerin von Salvatore Sciarrino?
Das war eine Meisterklasse in der Accademia Chigiana in Siena. Die Arbeit mit Salvatore Sciarrino war für mich sehr bedeutsam. Es ist ein charismatischer Professor und ein Komponist, der eine große Originalität ausstrahlt. Und auch ich möchte eine klare künstlerische Persönlichkeit sein, möchte dazu finden, auch wenn viele Stile und Ästhetiken für mich relevant sind. Sciarrino hat mir besonders vermittelt, wie sehr es beim Komponieren um die Strukturen geht.
In Kempten kommt es zur Uraufführung eines Werks für Violine und Klavier namens »The House of Sleep« – können Sie uns darüber schon etwas erzählen?
Die Inspirationsquelle ist ein Buch des englischen Dichters Jonathan Coe. Sein Roman »The House of Sleep« (Anm. auch auf deutsch erhältlich, »Das Haus des Schlafes«) ist eine Art Entwicklungsgeschichte, in der es um Traum und Wirklichkeit geht. Es gibt darin eine Fülle von Personen mit packenden Charakteren und vielen Fakten. Mein Stück, in dem ich mich gleichsam selber in das mysteriöse Haus begebe, in dem Coes Erzählung spielt, wird eine Mischung aus festgelegten Teilen und Improvisation. Bruno Maderna, ein großes Vorbild für mich, hat Ähnliches mit seiner »Serenata per un satellite« versucht. Ich schreibe für dieses Stück bewusst Avantgardemusik, die viele Kombinationen offen lässt und im Spannungsfeld zwischen ausnotierten Klängen und Spontaneität auch Techniken des Free Jazz hörbar werden lässt.
Wenn ich ihr Klavierquartett »Notturna« höre, denke ich weniger an Avantgarde, sondern mehr an eine neu formulierte Romantik – ein Beweis für Ihre Vielseitigkeit?
Durchaus – und die Romantik haben Sie richtig empfunden. Das Stück war ein Auftragswerk, in dem Frédéric Chopin eine Rolle spielen sollte. Ich habe selber in jüngeren Jahren viel und sehr gerne Chopin gespielt und wollte mich in diesem »Nachtstück« auf der einen Seite mit seiner stilbildenden Verwendung des Pedals auseinandersetzen, andererseits gleichsam eine Abstraktion seiner Musiksprache entwerfen. Das Stück ist eine Hommage, was immer sehr delikat ist. Außerdem war er Komponist und Pianist in einer Person, was eine gewisse Verbindung zu meiner Arbeit schafft.
Auch im Klaviertrio »Une vague pour un cacher une autre« steht ein anderer Großer der Vergangenheit im Fokus Ihrer Musik.
In diesem Fall ist es Maurice Ravel. Das Material meines Stücks entstammt seinem Klaviertrio, ich verwende allerdings nur kleine Fragmente daraus. Es geht darin um eine Konzeption des Begriffs Zeit. Und wie der Titel sagt – eine Welle kann eine andere verbergen. Mein Stück ist sozusagen die Antwort auf das Trio von Ravel.
Die »Parties diverses« für Bläserquintett empfinde ich auch impressionistisch und mit ihrer aufsteigenden Melodie wie eine Frage, die am Ende eine ruhige Antwort findet.
Das kann man so empfinden. Es geht in diesem Quintett im Prinzip um eine »idée fixe«, aus der sich unterschiedliche Klangblöcke und Variationen ergeben. Aber es wird in Kempten ein wenig anders klingen, denn ich mache eine Revision. Es soll mehr Geschwindigkeit vermitteln, mehr »speed« haben, wie es auf Englisch heißt.
»… à bout a soffle …«, deutsch »Atemlos«, ist der Titel eines Trios für Flöte, Klarinette und Klavier, in dem auch die menschliche Stimme zum Einsatz kommt.
Der Titel bezieht sich auf einen Film von Jean-Luc Godard. Es geht in dieser kurzen Studie in der Tat um die musikalischen Qualitäten von Atem und Stimme, um Flüstern und Murmeln ins Instrument, da gibt es ja mittlerweile etliche neue und faszinierende Spieltechniken für die Bläser.
Bleibt noch eine Hommage an Ihre Heimatstadt Palermo, »Vento del golfo« für Trompete und Streichquartett, es geht also um den Wind im Golf Golfwind.
Dieses Stück aus dem Jahr 2005 ist nicht avantgardistisch, sondern modal und tonal. Ich habe es für den tollen Jazztrompeter Paolo Fresu geschrieben. Eine Naturstudie, jazzig, leicht zu hören. Man könnte das Stück auch als einen Soundtrack ohne Film bezeichnen.
Sie schreiben ja auch Filmmusik und wandern zwischen einigen musikalischen Sprachen. Ich habe den Eindruck, dass alle diese Sprachen doch unverwechselbar die Ihren sind.
Das hoffe ich. Ich habe schon sehr früh begonnen zu komponieren. In den letzten fünfzehn Jahren sind sehr unterschiedliche Stücke entstanden. Ich suche immer meinen Weg, Expressivität, Eindrücke, Gefühle mitzuteilen. Das Publikum soll das nachempfinden können. Auch wenn das mitunter nicht so leicht ist. Jedenfalls schreibe ich für die Menschen, die meine Musik hören. Und meine Musik kann eben so eingängig wie »Vento del golfo« sein oder auch eine, die mit extremen Ausdrucksformen arbeitet.
Sie arbeiten ja auch an Opernprojekten. Das aktuellste trägt den Arbeitstitel »Mein Name ist Floria«. Floria Tosca? Lieben Sie Puccini?
Absolut! Und ich habe mich als Korrepetitorin, zum Beispiel für Mozarts Oper »Die Zauberflöte« unter Claudio Abbado, oder auch als Pianistin in »Ariadne auf Naxos« von Richard Strauss schon früh mit dieser Kunstform auseinandergesetzt. Was mein Floria-Projekt betrifft, das sich mit der Figur der Tosca beschäftigt, wird das natürlich keine Puccini-, sondern eine Guastella-Oper. Musiktheater kann das größte Gesamtkunstwerk sein. Ich denke an eine starke Verbindung mit »moving pictures«, den laufenden Bildern des Films.
Dann wünsche ich Ihnen, dass alles gut läuft, danke für das schöne Gespräch und freue mich auf Sie und ihre Musik in Kempten!
Das Interview führte Gottfried Franz Kasparek.
Komponistenportrait
Samstag, 29.09.2018, 18:30 Uhr
Theater in Kempten – THEaterOben (Eintritt frei)
Im Gespräch mit Irene Suchy – Musikwissenschaftlerin und Redakteurin des Österreichischen Rundfunks – wird sie zu ihrem bisherigen Werdegang und den während des Festivals aufgeführten Werken Auskunft geben. Dabei dürften sich interessante Anknüpfungspunkte zum letztjährigen Festival mit Musik von Komponistinnen ergeben.
Zur Website von Virginia Guastella